Zum zweiten mal in Folge ging der Wahlkreis Hamburg-Altona an Bündnis 90/Die Grüne. Linda Heitmann holte 27,5 Prozent der Erststimmen und setzte sich damit egegen Sören Platten von der SPD durch.
Im Interview aus dem März 2025 spricht sie über einen besonderen Wahlkampf und die Gräben, die wohl bis heute geblieben sind.
Das ist Linda Heitmann:
Jahrgang 1982, in Hamburger geboren, Studium der Politikwissenschaft und Geographie in Hamburg und Cork (Irland), Abschluss mit Diplom (2008). Schon während des Studiums wird Heitmann 2006 Vorsitzende der Grünen Jugend, zwei Jahre später ist sie bereits Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft (Sprecherin für Gesundheit, Drogenpolitik, Gleichstellung und Jugendpartizipation). Es folgten weitere Ämter, seit 2021 ist Linda Heitmann als Mitglied des Deutschen Bundestages unter anderem Sprecherin der Grünen Fraktion im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz sowie Ausschuss für Gesundheit.
Linda Heitmann sitzt seit 2021 im Deutschen Bundestag. Foto: Bündnis 90/Die Grünen Hamburg
Wie geht es Ihnen nach den Wahlen?
Linda Heitmann: Ich muss sagen, von mir ist viel abgefallen, denn so eine Kandidatur bringt sehr viel Anspannung mit sich. Ich habe hier in Altona wirklich versucht, über die letzten dreieinhalb Jahre permanent präsent zu sein. Dann war ich im Wahlkampf, glaube ich, ein bisschen weniger sichtbar und präsent mit Plakaten als andere und habe mich dann immer gefragt, ob das reicht: Nehmen die Leute mich genug wahr, kennen die mich und wissen die meine Arbeit zu schätzen? Am Wahlabend habe ich das Direktmandat in Altona dann relativ deutlich gewonnen, da ist schon viel Anspannung von mir abgefallen.
Hamburg-Altona ist ein sehr traditionsreicher SPD-Wahlbezirk, Olaf Scholz hat den mehrfach geholt. Dass Sie den jetzt schon zwei Mal für Bündnis90/Die Grünen gewonnen haben, ist außergewöhnlich. Haben Sie 2021 gedacht: Huch, was ist denn jetzt hier passiert?
Linda Heitmann: Ein bisschen war es schon so, ja. Also gerade 2021, vor der letzten Wahl war es so, dass die SPD da in den letzten drei Wochen, vor der Wahl nochmal deutlich Stimmenzuwachs hatte. Da hatte ich eigentlich nicht mit gerechnet, dass ich eine Chance auf dieses Direktmandat hatte, weil ich dachte, okay, Stimmenzuwachs für die SPD bundesweit, das wird sich in Altona genauso auswirken. Ich war 2021 deshalb wirklich überrascht!
Warum, denken Sie, hat das damals geklappt?
Linda Heitmann: Also ich glaube schon, dass ein gewisser Faktor war, dass ich die einzige weibliche Kandidatin war. Und wir haben nicht nur viel Geld in Plakate investiert, sondern auch Litfaßsäulen gebucht und einen Kinospot gemacht. Ich glaube, da haben schon dann viele Leute gemerkt, erstens, ja, die meinen das ernst mit dem Direktmandat, die wollen das wirklich. Und zweitens: Als Frau habe ich mich von den beiden älteren Herren, sage ich mal, abgehoben. (schmunzelt). Außerdem hatten wir Annalena Baerbock als Spitzen-Kandidatin, da war das schon auch noch mehr ein Thema, dass Frauen im Bundestag gut repräsentiert sein sollten.
In den Medien war das 2025 eher kein Thema, oder wie haben Sie das wahrgenommen?
Linda Heitmann: Das stimmt, ich muss sagen, ich habe mir am Ende auch keine Talkshow mehr im Fernsehen angeguckt. Ich fand es schlichtweg langweilig, da immer nur die gleichen Gesichter zu sehen.
Sie waren ja über die Landesliste abgesichert?
Linda Heitmann: Ja, ich stand auf Platz 3. Wir waren uns schon relativ sicher, dass wir wieder drei grüne Mandate bekommen und ich wieder im Bundestag sein würde. Aber ich sage ganz ehrlich, es hätte mich trotzdem getroffen, wenn ich nur über die Landesliste eingezogen wäre und nicht über das Direktmandat. Denn schließlich identifiziere ich mich sehr mit dem Bezirk Altona und damit, die direkt gewählte Vertretung des Wahlkreises im Bundestag zu sein.
Wie können Sie denn im Stadtteil überhaupt dafür sorgen, dass Sie, die in Berlin wirkt, hier wahrgenommen werden?
Linda Heitmann: Wir haben über die Legislatur mehrmals im Jahr Veranstaltungen gemacht und plakatiert, um permanent sichtbar zu sein und politische Themen, die ich in Berlin bearbeite, in den Wahlkreis zu tragen. Außerdem hatte ich über 100 Schulklassen über die dreieinhalb Jahre zu Besuch in Berlin und einige Besuchergruppen mit Bürger*innen aus Altona. Das war mir wichtig, denn ich war in der Legislatur im Bundestag die einzige Abgeordnete aus Altona neben Bernd Baumann von der AfD. Da hatte ich immer den Anspruch, ihm keine Schulklasse zu überlassen. Das sehe als einen wichtigen Teil meiner Arbeit und hat sich vielleicht auch ausgezahlt.
Wie würden Sie rückblickend die Legislatur 2021 bis 2024 für sich bewerten? Viele sagen ja, das war die außergewöhnlichste, anstrengendste ever.
Linda Heitmann: Ich habe ja keinen Vergleich, es war schon schön, mit zu regieren. Aber es war auch zäh und unbefriedigend an vielen Stellen. Es war ja das erste Mal, dass wir auf Bundesebene eine Dreier-Koalition hatten und wir haben wirklich gemerkt, dass die FDP immer wieder auch systematisch Dinge blockiert und Treffen ohne Ergebnisse hat enden lassen.
War das von Anfang an so oder erst nach der Klage der CDU gegen die Umwidmung der Covid-Kosten?
Linda Heitmann: Bei einigen Themen war es von Anfang an so. Bei anderen nicht. Also ein Thema, was ich zum Beispiel mit verhandelt habe, was am Ende auch geklappt hat, war das Verbandsklagerecht für geschädigte Verbraucherinnen und Verbraucher. Das waren zwar zähe Verhandlungen, aber hätten wir das nicht gemacht, dann hätten wir eine EU-Vertragsstrafe zahlen müssen. Deshalb ging es dann irgendwann, der äußere Druck – auch auf die FDP – war groß genug. Aber andere Themen, die auch im Koalitionsvertrag standen, bei denen hat man von Anfang an gemerkt, dass die aus Sicht der FDP überhaupt nicht in der Legislatur umgesetzt werden sollten.
Können Sie sich dieses Verhalten erklären?
Linda Heitmann: Nein, mir hat sich das nicht erschlossen. Ich muss ganz ehrlich sagen, wir haben ihnen mehr als einmal das Angebot gemacht, dass sie z.B. sämtliche Erfolge in der Digitalisierung für sich verkaufen können, wenn es dafür dann mal ein bisschen konstruktiv vorangeht und solche Chancen haben sie nicht genutzt. Und das kann ich auch nicht verstehen, weil ich denke, wenn man wirklich so zusammengearbeitet hätte, dass jeder bestimmte Themen und Gesetze als Erfolge für sich verkauft, dann wäre es für alle wahrscheinlich am Ende besser ausgegangen.
Und so läuft es doch normalerweise im politischen Geschäft, oder nicht?
Linda Heitmann: Normalerweise schon. Aber es war uns relativ schnell klar, dass das deren Strategie ist, vieles einfach nur zu blockieren. Und die Strategie haben sie auch bis zum Ende nicht geändert, obwohl ja eigentlich diverse auch Landtagswahlergebnisse der FDP immer wieder gezeigt haben, dass das keine gute Idee ist.
Nach den ganzen Vorkommnissen im Bundestag: Wie viel Vertrauen haben Sie noch, können Sie sich noch mit der „Merz-CDU“ an einen Tisch setzen?
Linda Heitmann: Das ist schon schwierig. Ich bin ein Stück weit erleichtert, jetzt nicht mit Herrn Merz regieren zu müssen. Gerade seit dem Ende des Wahlkampfes kann ich mir das überhaupt nicht mehr vorstellen. Eigentlich ab dem Moment, wo die CDU/CSU im Parlament mit der AfD gestimmt hat. Da war ich auch vor Ort und musste den Plenarsaal irgendwann verlassen, weil ich die Debatte so schrecklich fand, da wurde so menschenverachtend gesprochen. Zum Ende der Debatte bin ich wieder rein und da saßen auch zwei Kollegen von mir weinend in der letzten Reihe. Das war eine schreckliche Sitzung und ab dem Moment konnte ich mir das eigentlich mit Merz überhaupt nicht mehr vorstellen. Die sind wirklich alle gut beraten, jetzt mal ein bisschen den Populismus runterzufahren und irgendwie zu sachlichen Lösungen zu kommen. Auch die 551 Fragen zu den NGOs und Verbänden haben mich darin bestätigt, dass die CDU/CSU für mich gerade kein möglicher Koalitionspartner ist. Solch eine Anfrage ist eine reine Provokation, mit der sie jetzt ihre Koalitionsverhandlungen vorbereiten.
Wie schätzen Sie diesen Fragenkatalog "Finanzierung von Verbänden, Vereinen und Organisationen" ein?
Linda Heitmann: Also mich macht der fassungslos. Da geht es um Verbände und Organisationen, die fest in unserer Gesellschaft verankert sind und viele wichtige Aufgaben für das Gemeinwohl übernehmen – von der Altenpflege bis zum Naturschutz. Die sind wichtiger unverzichtbarer Bestandteil unserer Demokratie, das kann man doch nicht einmal auf einen Schlag pauschal in Frage stellen! .Ich glaube zwar, dass wir in Hamburg in einer gewissen Blase leben, wo sich die meisten nur an den Kopf fassen, wenn sie diesen Fragenkatalog lesen. Ich stehe mit so vielen Organisationen, die davon betroffen sind, im Austausch und kenne viele Menschen, die dafür arbeiten. Aber vermutlich gibt es auch Wählergruppen, die vielleicht niemanden kennen, der für eine der abgefragten Organisationen arbeitet oder sich damit identifiziert und die dann erstmal das Hinterfragen durch die Union dann ganz richtig finden. Und die werden jetzt bedient. Dass das ein elementarer Angriff auf das Funktionieren unseres gesellschaftlichen Miteinanders und unserer Demokratie ist, wenn Vereine und Verbände in ihrem Zweck in Frage gestellt werden, muss man – glaube ich – vielen Menschen nochmal anhand von Einzelbeispielen stärker verdeutlichen.
Ein Blick auf Hamburg: Die CDU versucht hier ja eine Wechselstimmung zu suggerieren, wie sehen Sie das, gibt es die?
Linda Heitmann:Nein, ganz bestimmt nicht. Es gab zwar auch in der Hamburger Koalition immer mal wieder Meinungsverschiedenheiten, bei denen ich auch manchmal dachte, da könnten wir Grünen auch ein bisschen klarer mal unsere Meinung sagen. Aber es ist halt immer eine Gratwanderung und das ist auch ein ganz anderes Niveau.
Wie gehen Sie denn jetzt Ihre neue Rolle in Berlin an?
Linda Heitmann:Ich bereite mich jetzt auf die inhaltliche Oppositionsarbeit vor und gucke auch, wie ich meine Beschäftigten sinnvoll einsetze, dass alle eine vernünftige Aufgabe haben in den kommenden vier Jahren und mir bestmöglich zu arbeiten.
Und wie muss man sich das vorstellen?
Linda Heitmann: Wir wissen ja nicht, was jetzt kommt. Ich war jetzt im Umweltausschuss und im Gesundheitsausschuss und das sind die beiden Bereiche, in denen ich auch bleiben will. Und da führe ich jetzt auch in meiner Fraktion die Gespräche, wer in diese Ausschüsse rein will und wer künftig welche Rolle übernehmen will. Aber viel mehr kann man gerade auch nicht tun. Wir können uns jetzt nicht auf Koalitionsgespräche vorbereiten. Da hatten wir alle uns schon ein Stück weit darauf eingestellt, aber das fällt weg.
Was werden Ihre Themen sein?
Linda Heitmann: Ich möchte mich auf jeden Fall wieder mit guten Zugängen zur Gesundheitsversorgung für alle in der Gesellschaft sowie mit Drogen- und Suchtpolitik beschäftigen. Und außerdem im Umweltbereich auf jeden Fall um Küsten- und Meeresschutz kümmern. Das ist genau mein Thema. In der letzten Legislatur war ich die einzige Grüne Norddeutsche im Ausschuss für Umwelt.
Frau Heitmann, vielen Dank für das Gespräch.