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FBT: Eltern sind Teil der Lösung – nicht das Problem.

„FBT hilft den Eltern dabei, ihrem Kind zu helfen!“

„Eltern sind eine wertvolle Ressource!“

Die familienbasierte Therapie (FBT) kann Klinikaufenthalte reduzieren oder sogar verhindern.
In Deutschland wird dieses Konzept von den Kassen noch nicht anerkannt. Das könnte sich bald ändern.

Essstörungen von Kindern und Jugendlichen werden in Deutschland in der Regel in Kliniken behandelt – über mehrere Monate, oft sind mehrfache Aufenthalte nötig. Für die Betroffenen ein enormer Einschnitt, denn sie werden nicht nur aus ihrem sozialen Umfeld gerissen. Auch Schule und Ausbildung müssen häufig unterbrochen werden, Lebenswege kommen ins Stocken. Dagegen hat sich im angelsächsischen Sprachraum seit mehr als zwei Jahrzehnten die „familienbasierte Therapie“ (FBT) etabliert. Sie kann die Zeit in einer stationären Umgebung nicht nur verkürzen, sondern sogar vermeiden. In einigen Jahren könnte dieses Konzept in Deutschland eine von den Krankenkassen anerkannte Therapie sein: Dazu führt die Berliner Charité in den kommenden zwei Jahren die weltweit größte FBT-Studie an bis zu 20 deutschen Kliniken durch.

Am Anfang fehlen die Worte

Oft müssen Familien erstmal eine Sprache finden, wenn ein Kind an einer Essstörung leidet. Denn es ist schwer Worte dafür zu finden, was alle Beteiligten erleben, fühlen und erleiden. Betroffene und Eltern beschreiben das, was da passiert, oft als einen zähen Sog. Zäh, langsam, kriechend, erst unmerklich und dann immer schneller frisst sich etwas Unbekanntes durch Gedanken, Gefühle, Verhalten, Familienstrukturen und Körper. Es braucht Zeit, um die vielen Kleinigkeiten, die sich ändern, richtig zu deuten. Denn sie wirken erstmal unscheinbar, weil Heranwachsende sich nun mal verändern. Je länger die Essstörung aber unerkannt bleibt, desto schwieriger ist sie zu bekämpfen. Denn sie fräst sich nicht nur wie eine Kettensäge durch lieb gewonnene Gewohnheiten, sondern hinterlässt auch eine Spur der Verwüstung hinter sich.

„Hätte ich die Wahl zwischen Depression oder Essstörung: Ich würde die Depression wählen.“

Einschätzung einer erfahrenen Therapeutin.

Nichts ist, wie es einmal war

Gemeinsame Mahlzeiten sind in der Familie nicht mehr möglich. Betroffenen fällt es immer schwerer, an Freizeitaktivitäten mit Freunden und Bekannten teilzunehmen, denn die Gedanken kreisen 24/7 um das optimale Essen. Einkäufe von Lebensmitteln werden zur Tortur – für alle Beteiligten. Wochenend-Ausflüge oder Urlaube sind kaum noch denkbar. Oft sind Depressionen und Angststörungen Folgen oder Begleiterscheinungen, das alte Leben ist für die Familie vorbei. Wird dann die Diagnose „Essstörung“ gestellt, klingt das erstmal harmlos, denn eine Störung lässt sich doch bestimmt schnell beheben. Das Kind muss doch einfach nur „wieder essen“, oder einfach „nur weniger essen“, so denken viele am Anfang. Vor allem die Eltern.

„Die Anorexia nervosa ist eine Erkrankung, die trotz Behandlung mit einer Mortalität von 10-15 Prozent eine relativ hohe Sterblichkeit unter den kinder- und jugendpsychiatrischen Erkrankungen aufweist. Die häufigsten Todesursachen sind Suizide und Infektionen.“

Prof. Oliver Fricke, ärztlicher Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Klinikums Stuttgart.

In Deutschland steht die Schuldfrage im Mittelpunkt

Gespräche mit Betroffenen, Erkrankten, Therapeutinnen, Therapeuten, Ärztinnen, und Ärzten zeigen, dass in Deutschland bei der Behandlung im Vordergrund steht, die vermeintliche "Ursache" der Erkrankung zu suchen. Meist wird sie im Familiensystem gefunden. Häufig wird dann den Eltern die Schuld zugeschrieben. Es entstehen Spannungen und Spaltungen innerhalb der Familie, während die Erkrankung immer weiter fortschreitet. In der Regel folgen dann mehrmonatige Aufenthalte in Kliniken, oft mehrfach. Für die jungen Menschen ein einschneidendes Erlebnis, denn sie werden aus ihrem sozialen Umfeld herausgerissen. Außerdem müssen Schule, Ausbildung und Beruf häufig unter- oder sogar abgebrochen werden.

FBT: Eltern Teil der Lösung, nicht das Problem

Im angelsächsischen Sprachraum wird dagegen seit über zwei Jahrzehnten anders vorgegangen. Denn: Die Familie und gerade Eltern können für den Heilungsprozess eine entscheidend positive Rolle spielen. Das haben Forschende im angloamerikanischen Raum bereits in den 1970er und frühen 80er Jahren herausgefunden. Der Psychiater Christopher Dare entwickelte mit Kollegen am Maudsley Hospital in London die „familienbasierte Therapie“ (FBT).

Was ist FBT?

Dieses Konzept bricht mit der in Deutschland immer noch weit verbreiteten These, dass generell Familien-Systeme „Schuld“ an der Essstörung sind. Vielmehr geht FBT davon aus, dass die Krankheit ähnlich wie Alkoholismus und Depression in aller Regel vererbt wird. Also wird die „Schuldfrage“ am Anfang der Therapie beiseite geschoben, die körperliche Genesung steht im Vordergrund. Denn nach FBT ist ein gesunder Körper die Voraussetzung dafür, dass eine tiefenpsychologische Therapie überhaupt wirksam ist. Weltweit kommen FBT-basierte Konzepte zum Einsatz, gelten in Großbritannien, den USA, Kanada, Neuseeland und Australien als Standardbehandlungsansatz.

Elterninitiative fordert Umdenken bei Krankenkassen und Ă„rzteschaft

Angesichts fehlender FBT-Angebote in Deutschland ist das „Elternnetzwerk Magersucht e.V.“ eine der wenigen Anlaufstellen in Deutschland, bei denen Eltern aus der Praxis heraus Tipps und Beratung bekommen können. Kathrin Jacobi, erste Vorsitzende des Vereins: „Wir setzen uns für den Ausbau familienbasierter Behandlungsangebote ein, von Kinder- und Hausärztinnen/en wünschen wir uns eine Offenheit für diese Ansätze." Zum kompletten Interview mit Kathrin Jacobi.

Paradigmenwechsel bahnt sich an

In Deutschland wird flächendeckend noch nach den alten Therapiekonzepten behandelt, aber das könnte sich in den kommenden Jahren ändern. 2024 hat die Charité in Berlin in einem Pilotprojekt die Wirksamkeit von FBT mit der vollstationären Therapie verglichen: „Die Daten waren sehr vielversprechend – sie geben Anlass zu glauben, dass FBT für viele Betroffene eine Alternative zu langen Krankenhausaufenthalten darstellen könnte“, erklärt Ernährungswissenschaftlerin Dr. Verena Haas. Sie leitet den Forschungsbereich für Essstörungen der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Mit ihrem Team hat sie in Zusammenarbeit mit dem FBT-Entwickler Professor Daniel Le Grange eine Pilotstudie durchgeführt, deren Ergebnisse durch eine großangelegte, deutschlandweite Studie bestätigt werden sollen. Ergebnisse werden 2028 erwartet. Zum kompletten Interview mit Dr. Verena Haas.

„Leider erleben wir noch immer, dass Eltern Schuld zugewiesen wird.“

Dr. Verena Haas erklärt die familienbasierte Therapie (FBT) und warum es so wichtig ist, Eltern in die Behandlung ihres an einer Essstörung erkrankten Kindes einzubeziehen.

Dr. oec. troph. Verena Haas ist Ernährungswissenschaftlerin und leitet den Forschungsbereich für Essstörungen der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der Charité – Universitätsmedizin Berlin.

Das ist Dr. Verena Haas:

Dr. oec. troph. Verena Haas ist Ernährungswissenschaftlerin und leitet den Forschungsbereich für Essstörungen der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Im FBT-Forschungsteam der Charité wurde in Zusammenarbeit mit dem FBT-Entwickler Prof. Daniel Le Grange eine vielversprechende Pilotstudie über die Wirksamkeit von FBT im Vergleich zur vollstationären Therapie durchgeführt. Eine großangelegte, deutschlandweite Studie soll nun die Ergebnisse der Pilotstudie bestätigen.

Essstörungen sind kein neues Phänomen, wie hat sich die Erkrankung in den vergangenen Jahren entwickelt?

Dr. Verena Haas: Essstörungen sind unter der Corona-Pandemie häufiger geworden, unser klinischer Eindruck ist, dass die Erkrankung sich komplexer präsentiert als noch vor einigen Jahrzehnten: häufig erschweren Angst-, Zwangs- und depressive Störungen den Genesungsverlauf. Viele ungesunde Verhaltensweisen, denen therapeutisch oft nur schwer beizukommen ist, wie zum Beispiel schweres, selbstverletzendes Verhalten, scheinen sich eventuell auch über soziale Medien zu verbreiten und sind häufiger beobachtbar.

Wie schätzen Sie die Versorgung von an einer Essstörung erkrankten Kindern und Jugendlichen in Deutschland ein?

Dr. Verena Haas: Vieles ist schon gut, aber wir müssen uns weiter verbessern, denn die Therapieerfolge bei Essstörungen sind nicht zufriedenstellend. Die Heilungsquoten sind noch zu niedrig und die Mortalitätsrate leider viel zu hoch. Außerdem gibt es in ländlichen Regionen nur wenige, spezialisierte Therapieplätze.

Was ist die „familienbasierte Therapie"?

Dr. Verena Haas: Familienbasierte Therapie, kurz „FBT“, ist eine intensive, ambulante Psychotherapie, die speziell für junge Menschen mit Essstörungen entwickelt wurde. Wissenschaftliche Untersuchungen in den USA, England, Kanada und Australien belegen für junge Menschen mit Essstörungen für die FBT die höchste Wirksamkeit therapeutischer Verfahren. Daher ist die FBT in den Behandlungsleitlinien dieser Länder die erste Wahl. Wir wissen heute, dass die Magersucht, ähnlich wie Alkoholabhängigkeit, Depression oder Diabetes Typ 2 in hohem Maße vererbt wird. Wir wissen auch, dass der Einbezug der Familie in die Therapie bei jungen Menschen mit Essstörungen deren Wirksamkeit maßgeblich verbessert. Die FBT stellt symptomorientiert die körperliche Genesung in den Vordergrund, da eine möglichst rasche Normalisierung des Körpergewichts ein zentraler, prognostisch günstiger Faktor ist.

Wie hoch war die Erfolgsquote in der FBT-Pilotstudie?

Dr. Verena Haas: Der Erfolg ist leider im Essstörungsbereich nicht einheitlich definiert. In der Berliner FBT-Pilotstudie war die FBT bei rund zwei Dritteln der 31 Familien in dem Sinne erfolgreich, dass eine stationäre Therapie entweder ganz vermieden oder deutlich verkürzt werden konnte. Die Gewichtsnormalisierung sowie die essstörungsbezogenen, psychischen Verhaltenssymptome waren aber genauso verbessert, wie bei der derzeit leitliniengerechten stationären Therapie. Die Daten geben also Anlass zu glauben, dass FBT für viele Betroffene eine Alternative zu den in Deutschland oft langen, im Schnitt drei- bis viermonatigen Klinikaufenthalten darstellen könnte.

Bei welchem Zustand der Betroffenen ist FBT möglich?

Dr. Verena Haas: Die Patientinnen und Patienten müssen medizinisch stabil sein, damit eine sichere, ambulante Therapie stattfinden kann. Ein entsprechendes medizinisches Monitoring ist Teil der FBT. Bei medizinischer Instabilität kann der Versuch einer kurzen, stationären Stabilisierung von wenigen Wochen vor Beginn oder auch während der FBT unternommen werden.

Wie genau wirkt FBT?

Dr. Verena Haas: Die familienbasierte Therapie hilft den Eltern dabei, ihrem an einer Essstörung erkrankten Kind zu helfen. Und FBT hilft den an Anorexie erkrankten Kindern und Jugendlichen, mithilfe ihrer Eltern in ihrem familiären und sozialen sowie schulischen Umfeld die Essstörung zu überwinden und zu genesen.

Was bedeutet das konkret?

Dr. Verena Haas: Vereinfacht gesagt machen die Eltern bei FBT das, was das Pflegepersonal im Krankenhaus tun wĂĽrde: fĂĽr eine begrenzte Zeit dafĂĽr Sorge tragen, dass der oder die Betroffene ausreichend isst, um gesund zu werden.

Das klingt einfach, ist es aber sicher nicht?

Dr. Verena Haas: Nein, ganz sicher nicht, das kann für alle Beteiligten eine enorme Herausforderung sein. Die Mahlzeiten begleiten, das Kind beruhigen, wenn ihm das Essen massiven Stress bereitet, konsequent und liebevoll bleiben, das ist für die Eltern oft sehr anstrengend. Und auch die Betroffenen kostet es viel Kraft, gegen die Erkrankung anzukämpfen. Daher sollte FBT auch durch speziell weitergebildete Therapeuten und Therapeutinnen angeboten werden, die die gesamte Familie engmaschig betreuen.

Wie genau sieht die Arbeit der Eltern aus, wie sieht der Alltag aus?

Dr. Verena Haas: Zu Beginn der rund 10-monatigen und aus circa 25 Sitzungen bestehenden Therapie begleiten die Eltern alle Mahlzeiten und übernehmen somit vorübergehend die Verantwortung für das ausreichende Essen ihres kranken Kindes. Im Verlauf der FBT wird diese Verantwortung Schritt für Schritt und altersgemäß wieder an die Betroffenen zurückgegeben. Wie dies gelingt, ist dabei für jede Familie unterschiedlich, deshalb entwickeln FBT-Therapeutinnen/en gemeinsam mit der Familie individuelle Lösungen, die die Genesung des Kindes ermöglichen.

Wo werden die Eltern geschult?

Dr. Verena Haas: Die FBT ist keine Schulung, sondern eine Form der verhaltensorientierten und standardisierten Psychotherapie. Sie folgt einem Leitfaden und kommt zu Beginn in wöchentlichen FBT-Sitzungen mit der gesamten Familie, in der Regel auch mit den Geschwistern, zur Anwendung. Im weiteren Verlauf werden die Abstände zwischen den FBT-Sitzungen dann je nach Therapiefortschritt immer größer.

Welche Gefahren stecken in FBT?

Dr. Verena Haas: Grundsätzlich sehen wir keine neuen Gefahren durch die FBT, in den angelsächsischen Ländern ist die FBT seit vielen Jahren verbreitet und umfassend erforscht. Es ist dort als Therapieverfahren der ersten Wahl für junge mit Familien lebende Menschen mit einer Magersucht in den Behandlungsleitlinien verankert. FBT ist jedoch auch kein Allheilmittel: So hat in der Pilotstudie die FBT nicht allen Patientinnen und Patienten ausreichend geholfen: Rund ein Drittel von ihnen wurde im Verlauf doch stationär zur Behandlung ihrer Essstörung aufgenommen.

Welche Erfahrungen machen Sie in der Zusammenarbeit mit Ă„rztinnen und Ă„rzten, Therapeutinnen und Therapeuten?

Dr. Verena Haas: FBT ist in Deutschland noch nicht ausreichend bekannt und leider erleben wir noch immer, dass Eltern Schuld zugewiesen wird. Familien werden oft aus der Therapie der erkrankten Kinder und Jugendlichen herausgehalten, um die Autonomie der an Magersucht erkrankten Person zu stärken, was grundsätzlich keine schlechte Idee ist. In Phasen der akuten Essstörung jedoch birgt das die Gefahr, dass die Erkrankung die Autonomie übernimmt.

Was genau werden Sie in der neuen Studie untersuchen?

Dr. Verena Haas: Unser Studienprojekt nennt sich „FIAT“, was ein Akronym für „familienbasierte telemedizinische vs. Institutionelle Anorexia nervosa Therapie“ ist. Deutschlandweit werden an bis zu 20 Kliniken rund 200 Familien mit einem an Magersucht erkrankten Kind eingeschlossen. Das Projekt wird mit Geldern aus dem Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) gefördert und durch 10 Krankenkassen unterstützt. So vergleichen wir die unabhängig von der therapeutischen Versorgungsdichte telemedizinisch erbrachte FBT mit der üblichen vollstationären Versorgung nicht nur unter dem Aspekt der klinischen Wirksamkeit, sondern auch auf der Grundlage von Krankenkassen-Daten hinsichtlich der Kosteneffizienz. Im besten Fall ist unsere Therapie nicht nur gleichermaßen medizinisch wirksam, sondern auch kosteneffizient, sodass sie perspektivisch als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen und damit jeder/m Betroffenen zugänglich gemacht werden kann. Diese weltweit bislang größte FBT-Studie erprobt also eine telemedizinische, ambulante Behandlung von schwer erkrankten Kindern, die unter den gegenwärtigen Behandlungsstandards grundsätzlich stationär behandelt werden und deren Familien dafür zum Teil lange Wege zu den Kliniken auf sich nehmen müssten.

Was wĂĽnschen Sie sich fĂĽr die Zukunft?

Dr. Verena Haas: Ich hoffe, dass FBT auch für schwer kranke Kinder und Jugendliche mit einer Magersucht sowie für deren Familien mindestens so hilfreich sein kann, wie eine ansonsten lange stationäre Behandlung. Ich hoffe ebenfalls, dass durch ein positives Ergebnis der FIAT Studie FBT in Deutschland als leitliniengerechte und von der gesetzlichen Krankenversicherung in der Regelversorgung finanzierte Therapieform etabliert werden kann. Wichtig ist dabei auch, dass mehr Therapeutinnen und Therapeuten in der FBT weitergebildet werden, sodass auch Familien in Deutschland die Chance haben, FBT zu erhalten. Fachpersonen sollten bereits jetzt die FBT kennen und wissen, wie bei der FBT therapeutisch mit den Familien gearbeitet wird.

„Wir brauchen mehr Prävention und Aufklärung!“

Kathrin Jacobi spricht ĂĽber ihre Erfahrungen in der Arbeit mit Eltern von an Magersucht erkrankten Kindern und ihre Forderungen an Ă„rzteschaft und Politik.

Kathrin Jacobi ist erste Vorsitzende des Vereins „Elternnetzwerk Magersucht e.V.“.

Das ist Kathrin Jacobi:

Kathrin Jacobi ist erste Vorsitzende des Vereins „Elternnetzwerk Magersucht e.V.“, moderiert mehrere Elterngruppen, leitet Elternabende und ist Ansprechpartnerin für Schulen, Sozialarbeitende und Jugendämter. Der Selbsthilfeverein von Eltern für Eltern zählt 800 Mitglieder. Eltern von an Anorexia nervosa erkrankten Kindern und Jugendlichen wird Akuthilfe in Form von Elterncoaching angeboten. Für das Engagement wurde der Verein 2022 mit dem Bundespreis „startsocial“ ausgezeichnet.

Was ist FBT?

Kathrin Jacobi: In der familienbasierten Therapie (FBT) leiten speziell ausgebildete Therapeuten Eltern von an Magersucht erkrankten Kindern an und begleiten sie im Genesungsprozess. Die Eltern spielen eine zentrale Rolle in der Therapie und sorgen aktiv für die Wiederernährung ihres erkrankten Kindes. Als engste Bezugspersonen werden die Eltern zur wichtigsten Ressource in der Behandlung. Sie kennen ihre Kinder und wissen, wie diese vor der Erkrankung waren. Und sie lernen sehr schnell zwischen ihrem Kind und der Krankheit zu unterscheiden. Das hilft sehr, anorektische Verhaltensmuster zu erkennen und zu unterbrechen.

Wie viele FBT-Angebote gibt es in Deutschland?

Kathrin Jacobi: Leider noch sehr wenige. Wir spüren aber zunehmend mehr Bereitschaft bei Therapeutinnen und Therapeuten, sich dem Thema zu öffnen. Neben FBT, welche in den angelsächsischen Ländern bereits als evidenzbasierte Therapie etabliert ist, gibt es mit dem Home Treatment (HoT) und der Multifamilientherapie in Deutschland weitere familienbasierte Modelle, die eine Elterneinbindung vorsehen.

Welche Erfahrungen machen Sie in Ihrer Arbeit mit FBT?

Kathrin Jacobi: Das Elternnetzwerk ist ein Selbsthilfeverein und kein Anbieter von FBT, das ist wichtig zu unterscheiden. In unseren Online-Gruppen sind aber viele Eltern, die ihre Kinder orientiert an familienbasierten Ansätzen zu Hause pflegen und betreuen. Vielen Kindern konnte mittels familienbasierter Ansätze ein Klinikaufenthalt erspart bleiben. Hilfreich sind die Beantragung von Pflegezeit und Pflegegeld. Manche Familien konnten zudem über eine Familienhilfe vom Jugendamt unterstützt werden. Das kann die Familie in dieser anstrengenden Zeit auf unterschiedlichen Ebenen entlasten.

Was raten Sie betroffenen Eltern?

Kathrin Jacobi: Sie sollten sich von Beratungsstellen, Ärzten, Psychologen und Psychotherapeuten nicht in eine Hilflosigkeit treiben lassen. Wir empfehlen, sich über familienbasierte Modelle zu informieren, zum Beispiel bei uns. Wichtig ist und bleibt der Gang zum Kinder- oder Hausarzt, um den Gesundheitszustand abklären und regelmäßig überprüfen zu lassen.

Wie könnte aus Ihrer Sicht die Krankheit erfolgreich bekämpft werden?

Kathrin Jacobi: Nur wenn die Krankheit früh erkannt wird, kann schnell gehandelt und ein tieferes Abrutschen in die Krankheit verhindert werden. Deswegen wünschen wir uns von der Politik mehr Aufklärung, um die Erkrankung und die Familien zu entstigmatisieren. Außerdem braucht es mehr Prävention an Schulen und im Hochleistungssport. Von Kinder- und Hausärzten wünschen wir uns eine Offenheit für familienbasierte Ansätze. Zudem sollten sie Eltern mehr Gehör schenken und sie ernster nehmen, wenn sie sich frühzeitig mit Sorgen zu Gewichtsverlust, Wachstumsstopp oder Verhaltensänderungen an ihren Kinder- und Hausarzt wenden.

Gibt es in diesem Zusammenhang von Ihrer Seite Forderungen an die Politik, Kostenträger und/oder Medizin, um FBT in Deutschland bekannter zu machen?

Kathrin Jacobi: Eltern sollten von Beratungsstellen, Ärzten, Psychologen und Psychotherapeuten über familienbasierte Modelle informiert werden. Für die Versorgungslandschaft wünschen wir uns den Ausbau von elternbasierten, multidisziplinären Angeboten, die Eltern stärken und befähigen, ihre Kinder im Alltag zu pflegen und begleiten – so wie es für andere chronische Erkrankungen bei Kindern, zum Beispiel Diabetes, völlig selbstverständlich ist. Wir fordern in dem Zusammenhang zudem, dass erkrankte Kinder, egal ob ambulant oder stationär behandelt, schnell und ausreichend wieder ernährt werden, um einer Chronifizierung vorzubeugen. Beim Entlassmanagement aus der stationären Behandlung sollten Eltern unbedingt einbezogen und ermutigt werden, die weitere Begleitung zu Hause zu übernehmen. Dazu sollten sie bereits während der stationären oder auch teilstationären Zeit eingebunden werden. Die Übernahme der Verantwortung durch die Eltern sollte auch gegenüber dem Patienten bzw. der Patientin so kommuniziert werden. Hinsichtlich der Kostenträger braucht es dringend die Anerkennung von FBT als Therapieform, damit diese bezahlt wird. Zudem braucht es ganzheitlichere Konzepte. Dazu braucht es eine Kostenübernahme für die Zusammenarbeit und Vernetzung von stationärer und ambulanter Therapie. Ideal aus Patientensicht wäre, wenn das stationäre Personal die Patienten auch ambulant weiter betreuen könnte.

Wie könnte aus Ihrer Sicht FBT schnell und unbürokratisch in Deutschland eingeführt werden?

Kathrin Jacobi: Indem Eltern, egal in welchem Behandlungssetting, von Anfang an mit einbezogen werden und sich die Behandelnden über FBT und Elterneinbindung informieren. Wer Interesse hat: Das Elternnetzwerk Magersucht e. V. bietet Therapeuten, Klinikern und auch Schulen, Jugendämtern und Vereinen gerne Videokonferenzen zum Austausch an. Eltern können selbst aktiv werden, in dem sie beim örtlichen Therapeuten oder der behandelnden Klinik einfordern, eingebunden zu werden, und nach familienbasierten Ansätzen fragen.

Weitere Informationen: